Transparente Politik?

Die ÜWG Bad Aibling stellte einen Antrag, dass alle Stadtratssitzungen bereits um 17 Uhr beginnen sollen. Für uns kein akzeptabler Vorschlag – nicht für die Bürger*innen und auch nicht für gewählte berufstätige Stadträt*innen.
Wir konnten mit unserer klaren Stellungnahme überzeugen und im Hauptverwaltungsausschuss 9 von 11 Räten überzeugen. Nun muss noch der Stadtrat den Antrag ablehnen.
Hier unsere ausführliche Stellungsnahme:

Redebeitrag von Martina Thalmayr

Mit einer Vorverlegung der Sitzungen auf 17 Uhr bauen wir weiter Hürden auf, die eine größere Diversität in der Zusammensetzung des Stadtrates verhindern – auch zukünftig. Selbst der langjährige ÜWG-Stadtrat Max Regensburger erschien während seiner Amtszeit immer 10 – 15 Minuten verspätet zu den Sitzungen – er musste erst seinen Laden abschließen und konnte und wollte sein Ehrenamt erst nach seiner Arbeitszeit wahrnehmen.
Zu den angeführten Gründen des Antrags möchte ich wie folgt Stellung nehmen: 

Punkt 1 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Bereits seit Jahren ist zu beobachten, dass aufgrund der Fülle der Themen die Tagesordnungspunkte immer mehr werden und die Zeit von bisher 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr nicht mehr für eine effektive Bearbeitung der jeweiligen Themen ausreicht. 

Unser Drängen auf einen pünktlichen Sitzungsschluss um 22 Uhr gründet in den Forderungen von CSU-Kollegen. Ein Grund mag die fortgeschrittene Uhrzeit sein – ein gewichtigeres Argument für ein Sitzungsende nach 4 Stunden ist aber die Belastung der ehrenamtlichen Stadträt*innen.  Die kommen nämlich nach einem 8-Stunden-Tag (sofern erwerbstätig) mit 4 Stunden konzentrierter Sitzungsteilnahme – ohne Pausen – auch an ihre Belastungsgrenzen.
Das ist der Grund, warum wir den Antrag auf ein pünktliches Sitzungsende gestellt haben. Und nachdem Kollegen in vorausgegangenen Sitzungen – wohl aus Protest – um 22 Uhr demonstrativ die Sitzung verlassen haben, schien der Antrag absolut gerechtfertigt. 
Für Menschen wie mich persönlich spielt die Uhrzeit keine Rolle – auch eine Sitzung von 20 – 24 Uhr wäre für mich OK – die Nachtzeit ist für Nachteulen kein Problem. Aber es geht nicht um mich oder um andere Einzelpersonen hier in diesem Gremium.  
Was aber in jedem Fall absolut herausfordernd ist: am Beispiel meines persönlichen Tagesablaufes an Sitzungsterminen: 
Arbeiten von 8 bis (bereits verkürzt) 16.30 Uhr – Heimfahrt – umziehen, aufs Rad schwingen – zur Sitzung. 
Keine Verschnaufpause – kein Abendessen – und dann 4 Stunden konzentriertes Tagen, ohne Pausen.
Sollten jetzt – egal zu welcher Startzeit – aus 4 auch noch 5 Stunden Stadtratssitzung werden, dann halte ich das nicht für ein zumutbares Szenario – und ich betone noch einmal: das im Ehrenamt ausgeführt wird!
Die angesprochene Fülle der Themen:
Zum einen sind wir bisher im Großen und Ganzen gut hingekommen. 
Zum anderen wurden – wohl auf Vorschlag der ÜWG-Rätin und 2. BGM Kirsten Hieble-Fritz – die Augustsitzungen gestrichen und ein für den Aiblinger Stadtrat neuer Urlaubsmonat August eingeführt. Das dürfte in der Summe die Tagesordnungspunkte der anderen Monate erhöhen. Vorschlag: Wir tagen wieder im August, dann nimmt das wieder den vermeintlichen Druck der Fülle der Punkte der Sitzungen in den anderen Monaten. 

Punkt 2 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Argumente, dass man bei Zeitmangel bestimmte Punkte verschieben könnte, haben den Nachteil, dass laut Gemeindeordnung die nicht behandelten Punkte innerhalb von drei Werktagen abgearbeitet werden müssten. Das heißt, eine weitere Stadtratssitzung wäre einzuberufen. 

Ich habe so einen Punkt in unserer Geschäftsordnung nicht finden können. Ich kann mich schon erinnern, dass es so etwas einmal gab. Das betraf aber meines Wissens ausschließlich bereits begonnene Tagesordnungspunkte. Tagesordnungspunkte auf die nächste Sitzung zu vertagen, sollte kein Problem sein, das wird ja auch immer wieder so praktiziert aus den verschiedensten Gründen. Und es liegt dann eben beim BGM, die Tagesordnungsreihenfolge so – auch spontan – umzustellen, dass terminkritische Tagesordnungspunkte abgearbeitet werden können. 
Einig waren wir uns zu jedem Zeitpunkt, dass wir es schaffen werden, einen begonnenen Punkt in der Regel auch nach 22 Uhr zu Ende zu diskutieren. 

Punkt 3 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Um mit weniger Zeitdruck die Punkte abarbeiten zu können, ist es unserer Meinung nach zwingend erforderlich, den Beginn aller Stadtratssitzungen generell auf 17.00 Uhr zu legen.

Ohne Zeitdruck Punkte abarbeiten – Schlussfolgerung 17 Uhr ist nicht zwingend: 
Eine andere Lösung wäre ein offenes Ende der Sitzung.
Dann wären wir aber wieder beim Thema der Belastung.

Punkt 4 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Vorteile entstehen auch für die Verwaltung: Ein früherer Sitzungsbeginn vermindert die Überstunden, Kosten können damit eingespart werden. 

Auch dieses Thema wurde schon oft angesprochen. 
Da steht jetzt Belastung Verwaltung der Belastung Stadträte gegenüber. 
Wobei ich davon ausgehe, dass in der Stadt mit Gleitzeit und Überstundenkonten gearbeitet wird und Überstunden nicht zur Auszahlung kommen – das Kostenthema ist also zu vernachlässigen. 
Ein denkbares Szenario – wenn man schon in diesem Gedankengang ist – wäre, die Sitzungen tagsüber abzuhalten und den Stadträten eine ‚Ausfallentschädigung‘ zu gewähren, wie das z.B. im Kreistag üblich ist. 
Dann aber wären vermutlich die Kosten doch deutlich höher für die Stadt (von der Bereitschaft von Arbeitgebern, das mitzutragen, und meiner Bereitschaft, diese Stunden wann anders reinzuarbeiten, mal ganz abgesehen).

Punkt 5 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Alle anderen Ausschüsse des Stadtrates beginnen ebenfalls um 17 Uhr. Das Argument, dass einige Stadträte berufsbedingt nicht um 17 .00 Uhr anwesend sein können, kann entkräftet werden. Die Sitzungen des Bauausschusses beispielsweise werden regelmäßig von sehr vielen Stadträten besucht.

In unserer derzeitigen Zusammensetzung im Stadtrat haben wir 37,5 % Ruheständler, 
37,5% Selbstständige oder Freiberufler und immerhin 25% Angestellte oder Beamte. Und auch einige der Selbständigen und Freiberufler haben nicht unendliche Möglichkeiten, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten.
Die Kolleg*innen, die an Ausschüssen – in denen sie nicht Mitglied sind – teilnehmen, können sich überwiegend ihre Zeit relativ frei einteilen. Das war, so wie ich das beobachtet habe, im Lockdown durchaus anders und das dürfte mit Sicherheit auf vermehrtes Homeoffice zurückzuführen sein – und auch auf die Tatsache, dass viele Kolleg*innen, die neu im Gremium sind, sich die Zeit genommen haben, mit Hilfe zusätzlicher Teilnahme in Ausschüssen schneller in der Gremienarbeit Fuß zu fassen. 
In den Fraktionen können wir die Besetzung der Ausschüsse frei einteilen und dabei auch Rücksicht auf die beruflichen Situationen nehmen. Im Stadtrat haben wir alle Anwesenheitspflicht – und die Beschlüsse, die hier gefasst werden, haben eine größere Tragweite als die von Ausschüssen. 
Konzentriertes Arbeiten muss also unbedingt sichergestellt sein.

Punkt 6 der Begründung des ÜWG-Antrages lautet: Alle Sitzungstermine des laufenden Jahres sind bereits am Ende des Vorjahres bekannt. Ein rechtzeitiges Einplanen müsste also möglich sein.

Soll das jetzt heißen, dass wir für die Stadtratssitzung Arbeitszeit einsetzen sollen oder sogar Urlaub nehmen? Aus meiner Sicht völlig unverhältnismäßig. 
Das ist in meinen Augen unsolidarisch und undemokratisch und kommt einer Ungleichstellung von Erwerbstätigen gleich. Hier sei noch einmal an Max Regensburger erinnert, der hier auch eine klare Grenze zog. 
Stadtratssitzungen sind öffentlich und sollten für die Öffentlichkeit besuchbar sein. Eine Streaming wird hier im Rat abgelehnt. Welcher Bürger kommt um 17 Uhr zu öffentlichen Sitzungen? Ruheständler und Betroffene. 
Andere Interessierte sind dann raus, besonders, wenn sie vielleicht regelmäßiger teilnehmen möchten. Das kann nicht im Sinne einer transparenten Politik sein. In den Vorbesprechungen zur GO, an denen auch der Antragsteller beteiligt war, war schon 18 Uhr ein Kompromiss – ich erinnere an den Antrag seinerzeit von Hr. Pahl, die Sitzungen auf 19 Uhr zu verschieben – eben aus Gründen des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Teilnahme. Das wurde einstimmig abgelehnt, da ansonsten die Sitzungen bei einem Beginn um 19 Uhr zu spät in die Nacht andauern würden – was man wiederum dem Ehrenamt nicht zumuten wollte…
Auch in anderen umliegenden Kommunen beginnen Stadt- oder Gemeinderatssitzungen frühestens um 18 Uhr – oder noch später. In manchen Kommunen ist auch die Startzeit von Ausschüssen später als bei uns in Bad Aibling. 

Fazit: 

Die Zusammensetzung unseres Stadtrates ist weit entfernt von einem realistischen ‚Abbild‘ unserer Gesellschaft. 37,5 % Ruheständler, 37,5% Selbstständige und gerade mal 25% Angestellte. 
Gründe für eine derart ‚realitätsfremde‘ Zusammensetzung sind auch die Anforderungen an dieses Amt. 
Wer ist bereit und in der Lage, nach der Arbeit noch 4+ Stunden in Gremien zu tagen – neben der ganzen vorbereitenden Arbeit? 
Wie ist Gremienarbeit mit Familie vereinbar – mit kleinen Kindern zu Hause – wenn noch nicht mal eine kurze Kinderzeit vor einer Sitzung möglich ist?
Wie belastbar ist das Ehrenamt, wie belastbar Ehrenämtler*innen?

Eine Vorverlegung der Stadtratssitzung auf 17 Uhr und eine damit einhergehende Verlängerung der Sitzungszeiten lehnen wir ab. 
Das wäre gegenüber aktiven Räten, die keine zeitliche Flexibilität genießen, die aber gewählt sind, schlichtweg rücksichtslos. Und mit Blick auf die Zukunft werden Hürden aufgebaut, die große und bisher im Rat unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen ausschließen. Das ist nicht im Sinne einer Demokratie.