Muss man das verstehen?

Baulandausweisung im Trinkwasserschutzgebiet.

Als ich 2016 in den Stadtrat nachrückte, stand der aktuelle Flächennutzungsplan kurz vor der Entscheidung. Es wurden eigentlich nur noch die letzten Einwände und Anmerkungen eingearbeitet. Ich kann mich noch an die letzte Sitzung erinnern, in der ein Stadtratskollege gerne noch ein Stück landwirtschaftliche Fläche für Wohnbebauung ausgewiesen gehabt hätte. Um den Plan aber nicht erneut auslegen zu müssen, wurde ihm zugestanden, dass die Fläche auch im Nachhinein noch zum Bauland umgewidmet werden könne, der Flächennutzungsplan sei ’nur‘ ein Leitplan, aber habe keine endgültig bindende Wirkung.

Ich habe mir dabei zu dem Zeitpunkt überhaupt nichts dabei gedacht – muss ich gestehen.

Dieses Jahr kam nun der Bauantrag.

Die Begründung: Die Kinder des Eigentümers möchten gerne in Bad Aibling bleiben und bauen – aus diesem Grund sollen 3000 qm landwirtschaftliche Fläche am Ortsrand Willig zum Wohngebiet umdeklariert und drei Einfamilienhäuser errichtet werden.

OK – also da schreit das ‚Flächenfraß‘-Argument natürlich schon ganz ganz laut.
Trotzdem tat ich mich zu dem Zeitpunkt schwer, gegen die Bebauung zu stimmen. Es ist schon richtig – Bauland ist derart teuer in Bad Aibling, dass immer weniger Aiblinger junge Leute die Möglichkeit haben, sich ein Eigenheim zu leisten. Gut: Es gibt auch jede Menge Argumente, die dagegen sprechen, aber dazu später.
Grundsätzlich sah ich, wie gesagt, keinen gewichtigen Grund, den Bauwunsch zu verweigern.
Was ich aber nicht wusste: Das Grundstück liegt im Trinkwasserschutzgebiet.
Warum ich das nicht wusste? Nun, in der zu dem Zeitpunkt veralteten Fassung des Flächennutzungsplans, die im Internet zur Verfügung gestellt wurde, waren die Zonen des Trinkwasserschutzgebietes schlichtweg nicht eingezeichnet.

In der Trinkwasserschutzgebietsverordnung ist für die erweiterte Schutzzone IIIA, von der wir hier reden, die Ausweisung neuer Baugebiete schlichtweg verboten.

Jetzt möchte man davon ausgehen, dass damit die Bebauung vom Tisch ist.
Aber nein – es werden (wie bei allen Bebauungsplänen) alle Stellen gehört, auch der Bund Naturschutz, obwohl in dem beschleunigten Verfahren, das in diesem unbeplanten Bereich angewendet werden kann, das gar nicht notwendig wäre. Und es gibt deutliche und klare Einwände. Flächenfraß, Trinkwasserschutz, Überschwemmungsgebiet, neuer Flächennutzungsplan, keine schlüssige Argumentation, die eine Dringlichkeit zur Ausweisung dieses Baugebietes nachweisen könnte. Vielmehr wird sogar darauf hingewiesen, dass hier für wenige Familien – eigentlich sogar nur für eine Familie – ein unverhältnismäßig großer Vorteil eingeräumt wird.

Aber letztendlich werden alle Einwände klein geredet und mit einem auferlegten Maßnahmenkatalog quittiert.
Es wirkt so, als ob die Behörden letztendlich meinen: Wenn ihr unbedingt wollt, dann macht halt…

Ich frage mich aber schon, wie in einem hochsensiblen Bereich wie einem Trinkwasserschutzgebiet so großzügig über Schutzmaßnahmen hinweg gebügelt werden kann.
Warum, glauben wir denn, sind diese Regelungen getroffen worden? Und von wem? Ich für meinen Teil gehe davon aus, dass hier Fachleute am Werk waren, die wirklich wissen, warum und wie die Schutzzonen gestaltet werden müssen.
Aber wenn sogar unser Aiblinger Wasserfachmann – Herr Keilhauer – der Meinung ist, er fände an dieser Stelle eine Ausnahme unproblematisch, Gülle fände er schlimmer – wie soll man dann noch argumentieren?
Und wie werden wir argumentieren, wenn die nächsten Bauanfragen in der Trinkwasserschutzzone kommen?

Natürlich ist es schön, wenn die eigenen Kinder im eigenen Ort bleiben – natürlich ist es schön, ein nettes Einfamilienhaus mit Garten zu haben und sein eigen nennen zu können. Ich gönne es jedem von Herzen.
Aber kann es sein, dass dieser hehre Wunsch für drei Familien erfüllt werden soll, und gleichzeitig die Schutzzone für 100000 Menschen in Bad Aibling, Kolbermoor und Rosenheim aufgeweicht wird? Muss hier nicht Gemeinwohl vor Einzelwohl gestellt werden, und zwar ganz deutlich? Diese Ignoranz von uns Laien, die immer wieder dazu führt, dass aus rein wirtschaftlichen Interessen Belange des Umweltschutzes hintangestellt werden, zeigt inzwischen doch sehr deutlich ihre Folgen! Wie lange wollen wir denn so weitermachen?
Das Thema Wasser in seiner Komplexität wird das nächste große Thema nach dem Artenschutz sein, das uns direkt und unmittelbar treffen wird.
Das wissen wir auch nicht erst seit gestern – aber wieder machen wir die Augen zu.
Wir konnten tatsächlich nur drei Gegenstimmen gegen die Bebauung am Gartenäckerweg erreichen.
Drei unpopuläre Stimmen – die viele sicher nicht verstehen können.

Aber es ist nicht unser Job, im Stadtrat populäre Entscheidungen zu treffen, sondern Entscheidungen, die wir nach bestem Wissen und Gewissen vertreten können. Entscheidungen, die nicht nur für die nächsten paar Jahre und bis zu den nächsten Wahlen Bestand haben und Sinn ergeben, sondern Entscheidungen, die für die nächsten zig Jahre richtungsweisend sein sollen.
So verstehe ich zumindest dieses Amt.

Martina Thalmayr

Hier geht es zum Flächennutzungsplan in der der aktuellen Fassung:
https://www.bad-aibling.de/fileadmin/redakteur_buergerservice/pdf/Bauen_und_Planen/Bekanntmachungen_Dateien/T_A_FNP_BadAibling_Plan_10000.pdf